[DE] Tanıdık Yüzler Serisi — Prof. Dr. Philip Kunig

TAÜ Pro Bono Hukuk Kulübü
23 min readMay 22, 2023

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Univ.-Prof. a.D. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Philip Kunig
Univ.-Prof. a.D. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Philip Kunig

Seit 2010 ist er Vizepräsident des von deutschen Hochschulen für die Gründung der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul errichteten Konsortiums. 2016 trat er an der Freien Universität Berlin in den Ruhestand. Seit 2013 unterrichtet er an der juristischen Fakultät der Türkisch-Deutschen Universität Öffentliches Recht und Völkerrecht. Von 2016 bis 2022 war er als Koordinator der deutschen Seite für die Juristische Fakultät und überdies als Berater des Rektors tätig. Neben seinen Forschungs- und Herausgebertätigkeiten im Bereich des deutschen und des internationalen Rechts ist Kunig in mehrere türkisch-deutsche Forschungsprojekte und rechtswissenschaftliche Kooperationen involviert.

Detaillierte Informationen: jura.fu-berlin.de & people.tau.edu.tr

E-Mail: philip.kunig@fu-berlin.de & kunig@tau.edu.tr

Pro Bono: Herr Kunig, vor allem möchte ich mich sowohl persönlich als auch für meine Freunde bedanken, dass Sie unseren Wunsch akzeptiert haben, für diese Videoaufzeichnung. Wir haben ungefähr zehn, zwölf Fragen überlegt. Vor allem wollen wir eine Zusammenfassung Ihres Lebens aus Ihrer Perspektive hören. Ihr Leben war ganz lang. Wie haben Sie Ihre Zeit verbracht vom Anfang an bis hierher?

Prof. Kunig: Unmittelbar an den Anfang, an den erinnere ich mich nicht. Ich bin geboren in Osnabrück. Osnabrück ist eine Stadt im Westen des ehemaligen Westdeutschlands. Ein bisschen berühmt in der Völkerrechtsgeschichte, weil ein Teil des Westfälischen Friedens dort verhandelt wurde. Ich bin aber nicht unbedingt ein richtiger Osnabrücker, weil meine Eltern Flüchtlinge waren, aus der ganz anderen Ecke von Deutschland, nämlich aus dem Erzgebirge. Das ist die Nähe von Chemnitz, Dresden und Tschechien. Und die mussten diesen Teil Deutschlands verlassen und wollten es auch. Und das erwähne ich, weil ich keine Heimat im engeren Sinne hatte.

Meine Eltern waren Fremde dort, wo sie waren und das vermittelt sich auch einem Kind und trotzdem habe ich mich wohlgefühlt in diesem Osnabrück, bin dort zur Schule gegangen, bin auf einem — das ist vielleicht für den Bildungsweg ein bisschen bedeutsam — auf einem sogenannten humanistischen Gymnasium gewesen, das bedeutet, im Vordergrund standen die Sprachen Latein, neun Jahre, und Griechisch, Altgriechisch, sieben Jahre, also keine lebendige Sprache, außer ein bisschen Englisch in der Oberstufe und meine Englisch musste ich dann später nachholen. Ich habe aber diesen Ausbildungsweg als sehr positiv und prägend empfunden. Das war nicht nur Sprachunterricht, das berührte auf die Philosophie, die Geistesgeschichte und damit auch Grundlage von dem, was ich heute mache. Es führte allerdings dazu, dass ich keinen Zugang fand auf der Schule zu Mathematik oder Naturwissenschaften, das interessierte mich auch nicht. Ich behaupte, dass das ein bisschen mit den Lehrern zusammenhängt. Lehrer sind immer wichtig für das, was die Schüler interessiert, ein bisschen. Und dann hatte ich Abitur, das war 1970, also weit im vergangenen Jahrhundert, und stand von der Frage, was machst du jetzt? Und wie gesagt, ich hatte keinen Zugang zu Naturwissenschaften und technischen Fächern. Ich wollte aber auch nicht Latein und Griechisch studieren, weil das hatte ich nun jahrelang gemacht, und dachte mir, was werde ich, wenn ich das studiere, dann werde ich Lehrer, das wollte ich aber auf keinen Fall. Nun bin ich doch ein Lehrer geworden.

Ich habe mich damals entschieden, etwas anderes zu studieren und zwar Sinologie und Japanologie. Also die chinesische Sprache, die japanische Sprache und was da dranhängt, weil ich dachte, das sind auch Kulturen, die sich von meiner eigenen unterscheiden, und ich hoffte da so etwas an Zugang und Interesse zu entwickeln, wie ich das als Schüler mit dem Latein und Griechisch getan hatte. Mein Vater, der hörte sich das ruhig an und sagte, du wisst wahrscheinlich dann irgendwann im Museum die Ausstellungsstücke putzen. Ich komme dann mal vorbei, aber du musst wissen, was du machst. Sodass ich also das studiert habe. Aber nach einem Jahr ungefähr dachte ich mir, dass kann es nicht sein. Denn 1970, das war die Zeit bei dem Umgang mit China dominierte Mao. Wenn Ihnen das noch was sagt, ein Schriftsteller auch des Kommunismus. Die Studenten waren alle Maoisten. Ich wollte das nicht sein und hatte andere Überzeugung, jedenfalls dachte ich dann, du musst etwas studieren, was auch irgendwie ein vernünftigen Beruf eröffnet. Und so kam ich zu Jura, ohne große Überzeugung. Ich dachte, da kannst du nichts falsch machen. Und ich könnte jetzt auch sagen, und das ist auch ein bisschen richtig, dass mich die Frage, was gerecht ist, schon immer bewegt hat.

Und wieder war es mein Vater, der beruflich was anderes machte, aber der so ein großes Interesse an Rechtsstaatlichkeit und Chancengleichheit empfand und mir vermittelt hat. Und dann habe ich also Jura studiert. Das war im Vergleich zu Sinologie und Japanologie eine ganz andere Welt. Auf der anderen Straßenseite in Hamburg war das. Aber man betrat eine andere Welt. Diese China-Studenten saßen und tranken Tee und diskutierten über die Weltrevolution. Die Juristen und Jurastudenten, die trugen Anzüge schon im ersten Semester, waren ein bestimmter Typus — mehr oder weniger gleich. Und ich habe mich da nicht richtig integriert, ich habe beides gemacht. Ich habe wann immer Vorlesungen zu machen waren in Jura, habe ich das gemacht, aber dann bin ich wieder zu meinen China-Studenten gegangen und habe mich dort ausgeruht und weiter Seminare gemacht und das Studium auch bis zum Ende weiterbetrieben. Jedenfalls habe ich dann Examen gemacht, das sogenannte Erste Examen, sie kennen dieses System in Deutschland. Das war 1976.

Und dann schließt sich ja dieses Referendariat an. Aber es trat dann ein Punkt ein, der wichtig war für meine weiteren Karrierewege, oft hat sowas ja mit Personen zu tun. Ich wurde angesprochen von einem Dozenten, der sagte, du hast neulich erwähnt, dass du — wobei man sag Sie in Deutschland, hier ist teilweise anders — Sie haben jetzt Examen nächste Woche oder so, wenn das gut läuft, biete ich Ihnen eine Stelle an. Und dann habe ich eine Wissenschaftliche-Mitarbeiter-Stelle neben dem Referendariat gemacht. Bei meinem — aus dem Rückblick kann ich sagen Lehrer, Ingo von Münch hieß der, und habe dort promoviert und wollte immer ins Ausland gehen, aber musste dableiben und arbeiten an der Universität, was ich auch gern getan habe und habe auch habilitiert. „Habilitiert“ ist dieses zweite Buch. Es ist ein Ausdruck, der nicht überall vorkommt, aber das System ist mehr oder weniger das Gleiche. Und das war dann verbunden mit einer Spezialisierung in den Fächer, bei mir war das öffentliches Recht und Völkerrecht, also internationales öffentliches Recht. Sie merken das, das stellt eine Weiche für den ganzen Weg, denn das mache ich noch heute.

Und zwischendurch habe ich immer etwas empfunden, was attraktiv ist beim Jurastudium: Man ist nicht gleich festgelegt auf einen bestimmten Beruf, weil man während der Ausbildung, bei der praktischen Ausbildung im Referendariat, da sieht man verschiedene Berufsbereiche, man ist eine Zeit lang Staatsanwalt, man ist eine Zeit lang Verwaltungsbeamter, man ist eine Zeit lang Rechtsanwalt. Man macht verschiedene Dinge und kann irgendwie auch rausfinden, was einem am besten gefällt. Und das war bei mir Verschiedenes. Bis ich dann gesagt habe, ne am liebsten möchte ich gerne das weitergeben, was ich weiß. Und wenn man relativ jung ist, hat man noch Ideen, wie man das verändern will. Übrigens im Alter hat man solche Ideen manchmal auch. Und da habe ich also meine Welt gesehen. Ja, und dann ist der Weg zu einer Professor nicht mehr so weit, und die Details sind jetzt glaube ich nicht wichtig. Ich bekam in Hamburg meine erste Professur. Dann war in Heidelberg eine Zeit lang und an der FU Berlin. Und später, man wird dann manchmal gefragt „Wollen Sie zu uns kommen?“, das bin ich auch noch ein paar Mal gefragt worden, habe aber immer nein gesagt. Und das hatte bei Berlin einen besonderen Grund. Als ich in Berlin anfing, das war 1988, da wollte ich eigentlich gar nicht. Berlin war eingekesselt. Die Mauer war drumherum. Es war immer ein Problem, mit dem Auto durch die damaligen DDR nach West-Berlin zu fahren. Auch mit den Flügen war es manchmal kompliziert. Jedenfalls, Berlin war so eine eingesperrte Stadt. Und wenn man spazieren gehen wollte, ging man mit 5.000 anderen Berlinern durch einen Park im Kreis. Also das ist leicht übertrieben, aber das war so. So dass ich mich bemüht habe, von Berlin wieder wegzukommen. Aber dann bekam ich ungefähr gleichzeitig wieder einen Ruf, so nennt man das, und konnte nach Heidelberg gehen.

Aber ungefähr gleichzeitig fiel die Mauer, also ‘89 im November. Und damit war so viel verbunden an Emotionen, an Spannungen, auch die Frage „Was wird jetzt?“, auch juristisch übrigens: Bleibt das Grundgesetz und wird jetzt Verfassung für alle? Oder wird es verändert? Muss man dieses für Reformen? Und das ganze Recht der DDR wurde ersetzt durch angepasstes Bundesrecht. Auch viele persönliche Probleme tauchten auf: „Was wird aus den Leuten, die nur mit dem DDR-Recht vertraut waren? Müssen die alle entlassen werden? Und können die Richter werden oder nur Anwalt?” Also alles mögliche. Und da dachte ich, hier sind so viele Aufgaben, die auch auf Juristen zu kommen. Das ist eine historische Stunde, dann gehe ich nicht weg. Und war ich auch Beteiligte an verschiedenen Dingen und Umbau von Universitäten in der DDR und eins kann ich davon erwähnen, weil es auch vielleicht ganz außer gekräftigt ist. Es gab in Berlin kein Verfassungsgericht. Das haben die Alliierten, also USA usw. nicht zugelassen. Er stand in der Verfassung, aber es wurde nicht gemacht.

Als die Mauer weg war, war es möglich ein Verfassungsgericht für Berlin zu errichten. Wie das andere Bundesländer haben. Es gibt das Bundesverfassungsgericht und die Landesverfassungsgerichte. Und das war dann 1992, da wurde das Verfassungsgericht begründet für Berlin. Und ich bin gefragt worden, ob ich ein Richter werde, nebenbei der Professur und das habe ich gemacht, musste da gewählt werden vom Abgeordnetenhaus, so heißt das Parlament in Berlin, mit zwei Drittel Mehrheit und ich war 41, das reichte gerade, im Gesetz stand mindestens 40 muss man sein. Und das erwähne ich, weil ich da sehr viel nochmal gelernt habe, über Jura. Und habe ich gemerkt, dass das Reden darüber Verfassung, Verfassungsbeschwerde und so, das ist das Eine, aber es ist im theoretischen Raum. Man sieht kaum die Leute über die man entscheidet. Man berichtet das aber anders. Und es brachte mich dazu auch vieles im Lichte der Praxis verändert zu sehen und wahrscheinlich auch verändert darüber zu sprechen im Hörsaal. Also diese Praxis-Dimension über das Lernen von Verfassungsrecht und weiteren Recht aus Büchern, das ist wichtig. Das habe ich 8-Jahre lang gemacht. Es gibt die vernünftige Regelung keine Wiederwahl, damit die Leute ausgewechselt werden, weil das ja auch immer politische Hintergründe hat. Und für den Rest meiner Zeit als Lehrer in Berlin habe ich Schwerpunkte gesetzt vor allem in ausländischen Verfassungsrecht. Also ich habe dann ein Interesse entwickelt an Rechtsvergleichung, warum gibt es Unterschiede bei gleich lautende Rechten, warum haben bestimmte Verfahren von den Verfassungsgerichten, das war weiter im Zentrum bei mir, unterschiedliche Funktionen und so gut. Ich habe dann Verfassungsrecht und auch Umweltrecht und Völkerrecht unterrichtet in anderen Länder. Also weiter hauptamtlich in Berlin. Aber in den Ferien oder sonst wo meistens in Asien, also die Liebe zu China und Japan gab wieder hervor, auf dem beiden Ländern hatte da auch Verantwortung für Universität Zusammenarbeit, solche Dinge. Aber auch in anderen Teilen Asiens, Vietnam, Thailand, Kambodscha, Malaysia habe ich besucht. Ja und die Türkei.

Das hatte einmal eine lange Vorgeschichte, die ich auf ganz kurz fasse. Ich hatte mich schon als Schüler für die Türkei auch interessiert. Das hatte mit den Antike und Latein und Griechische so zu tun. Und diesem Raum und Byzanz also auch später dann bezogen auf Recht mit gemeinsam Wurzeln. Istanbul ist schon besondere Stadt, wie jeder weiß. Und in Berlin redet man von Multikulti und so aber hier gibt es das, an jeder Ecke. Also ich bin ab dann angefangen in der Türkei zu reisen als Tourist, auch über die Stadt hinaus bis nach Nemrut Dağı, also auch im Südosten weit.

Und ich hatte immer Kontakt zu einem, wieder kommt dieser persönliche Faktor, türkischen Hochschullehrer. Der hieß Tuğrul Ansay. Tugrul Ansay war in jungen Jahren Dekan der juristischen Fakultät der Uni Ankara. Und dann ist er aus familiären Gründen, also mit anderen Worten, als sich verliebt und geheiratet, nach Hamburg gegangen. Und er war da an Forschung Institut als Professor. Er ist aber später wieder zurückgekehrt, Anfang des diesen Jahrhunderts, also vor ungefähr 25 Jahre. Ich spreche etwas wehmütig über Tuğrul Ansay, weil er vor 4 Wochen (am 5. März 2022) verstorben, über 90. Ich war mit Herrn Akkanat bei der Beisetzung hier. Und dann ist er zurückgekommen nach in die Türkei. Der kannte Koç, den Vater Koç, Rahmi Koç, der Vater des Präsidenten von Fenerbahçe ist, der hat gesagt: ‘’Du kommst mir richtig, ich will gerade auch noch eine juristische Fakultät gründen, da drüben.” Und so wurde Herr Ansay Dekan der neuen juristischen Fakultät an der Koç Universität. Da war eine Fakultät und ein Beschluss, aber kein Lehrer und er wollte gerne auch aus im Ausland Lehrer haben. Es war schon so Ideen, die so ähnlich waren, wie das später zu unserer Universität geführt hat.

Jedenfalls rief mich der Herr Ansay an und sagte “Hast du nicht Lust vier Wochen, sechs Wochen in den Ferien, in deinen Berliner-Ferien bei uns zu unterrichten, auf Englisch?“. Die haben Unterricht-Sprache Englisch, habe ich gemacht und dann noch mal und dann an anderen Unis und so. Und fokussierte mein zunächst breites internationales Interesse bei der Türkei. Und jetzt sind wir im Jahr 2008 und da kamen die Pläne wieder auf den Tisch eine solche Universität zu gründen wie die in wir sind und das war schon vorher versucht worden, immer wieder, eine lange Misserfolgsgeschichte aber es wurde dann ein Gremium gebildet und der DAAD kam ins Spiel und so weiter und so weiter. Dann bin ich gefragt worden, ob ich Verantwortung übernehmen möchte bei der Gründung und das für Jura, ja und seitdem bin ich hier.

Pro Bono: Welche Routinen hat Prof. Kunig im Alltagsleben?

Prof. Kunig: Ich bin früher oft verreist und jetzt weniger. Ich genieße die Freizeit mit meiner Frau. Wann immer sich die Gelegenheit dazu ergibt, wir sind auf 2 Kontinente verteilt. Und ich lese gern und bin zu nehmen gern anders als früher an der frischen Luft gucken was anderes ich nicht kenne, also da ist nichts Spezifisches. Auch meine Lektüre-Themen haben mit Dingen zu tun, die ich schon erwähnt habe, also Geschichten, Kulturen, fremde Geschichten und Kulturen. Weil das Wort “Fremd” ein ganz problematisches ist und man je mehr man sich mit anderen Kulturen beschäftigt, umso mehr sieht man, dass es gemeinsame Kerne gibt, auch wenn die unterschiedlichen Begriffe natürlich haben und unterschiedlichen Kontexten sind. Aber es gibt viel mehr Gemeinsamkeiten, auch zwischen Religionen finde ich, als manchmal propagiert wird, insbesondere im politischen Raum und solchen Dingen beschäftige ich mich gern. Also, meine Interessen bleiben in der Nähe dessen, was ich beruflich mache. Ja, abgesehen von Sport, Musik und so und da hat jeder seine Hobbys oder was.

Pro Bono: Was war Ihr Lieblingsfach und der Fach, den Sie nicht mochten beim Studieren?

Prof. Kunig: Ich mochte das Steuerrecht überhaupt nicht. Und ich mochte das Völkerrecht sehr, wegen diesen Unterschiedlichkeiten zum sonstigen Recht, also Gleichordnung über Unterordnung, so die Quellen und so… Und mir hat auch interessiert, dass es immer Leute gab, die sagt das ist gar kein Recht und warum nicht und also, sie müssen jetzt lachen, weil sie diese Fragen auch alle schon gehört haben und also, das war mein Lieblingsfach und im Verfassungsrecht die Grundrechte. Die Grundrechte sind nicht alles, aber sie sind schon ein wesentliches Instrument um die Welt erträglicher zu machen.

Pro Bono: Sie waren sehr lange Zeit hier in der Akademie. Und wie finden Sie heute die Akademie und haben Sie über die Kritik an der Akademie? Wie ist es jetzt und wie sollte es eigentlich sein? Beide in Deutschland und in der Türkei.

Prof. Kunig: Also in der Türkei habe ich nur Eindrücke. Zu Deutschland kann ich sagen, es ist vieles was unter Bürokratie leidet. Also, es geht nicht mehr so sehr, manchmal, um Qualität und Originalität und neue Ideen, sondern es geht, wie sonst auch in der Welt, um Geld. Also wer schafft ein Drittmittel, so nennt man den Antrag, ein Förderantrag bei der Europäischen Union zu stellen oder beim Europarat — und das gilt gleichermaßen ja auch ungeachtet von Nicht-Mitgliedschaft für die Türkei– wer also darum so bringen kann, der ist besser dran und gilt als erfolgreicher als jemand, der sich nur mit seinem eigenen Verstand bemüht, wissenschaftliche Fortschritt zu erbringen.

Aber das ist vielleicht auch ja so ein, wenn man etwas gewöhnt war und älter wird, und sieht Veränderung dann ist man oft wohl ablehnen, man muss also selbst kritisch sein. Und trotzdem geht es mit der Kommerzialisierung der Wissenschaft oft zu weit. Und es gibt auch manchmal den Umstand, dass es welche neuen Stichwörter gibt und die Universitätsleitungen verlangen dann, dass die Forscher sich damit beschäftigen um in politischen Raum sagen zu können. Sowas machen wir jetzt auch. Also da gibt es letztlich auch Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit. Die Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut. Der Staat kann nicht alles vorschreiben, was wir, Wissenschaftler, tun. Das ist so ein Bereich, wo ich sage da, gefällt mir manches nicht. Aber man kann die Frage auch so wenden, dass man sagt, „Bereuen Sie es so lange in der Akademie gewesen zu sein?“ Und das würde ich verneinen. Ich bereue das nicht. Zumal man als Jurist eben auch selbst wenn man sich für einen Weg wie Hochschullehrer entschieden hat, immer noch andere Möglichkeiten den Betätigung hat, außerhalb der Akademie. Aber deswegen, weil man in der Akademie ist. Damit meine ich, zum Beispiel diese Tätigkeiten in dem Verfassungsgericht, von dem ich gesprochen habe, aber auch Beratungen habe ich gemacht, also Gutachten meistens für staatlichen Stellen zu irgendwelchen offenen Fragen. Ich habe 3-Jahre lang einer Kommission angehört, die Umweltgesetzbuch formuliert hat, also das UGB so wie das BGB. Das ist nicht verabschiedet worden, weil die Länder sich politisch gestritten haben, egal jetzt. Aber das sind die Dinge, die sind nicht nur — in Anführungsstrichen — Vorlesung halten und am Schreibtisch sitzen und aus dem Fenster gucken. Sondern das ist der praktische Bezug. Deswegen kann man nicht sagen, es gibt Akademie und das sonstige Leben, sondern jedenfalls bei Jura, aber bei vielen anderen Fächer auch, ist ein enger Bezug.

Pro Bono: Was bedeutet ein Jurist zu sein, nach Ihrer Perspektive?

Prof. Kunig: Das ist schwer zu beschreiben. Ein Jurist ist jemand, der Normen vorfindet, die andere gemacht haben. Und der sagen soll, was aus der Norm folgt für bestimmte Tatsachen und das bei den verschiedensten Arten von Konflikten. Er ist ein Konfliktbewältiger, damit auch jemand, der der Konfliktentstehung vorbeugt. Denn, wenn man schon weiß, was rechtlich passiert, ist das vielleicht der Grund für eine Verhaltensänderung oder aber für den Verzicht auf bestimmte Dinge, die man sonst tun würde. Und alle diese verschiedenen Normen in den verschiedenen Bereichen sind auf ausgerichtet auf das Ziel der Herstellung von Gerechtigkeit, aber eben im Ausgangspunkt in der Entscheidung von jemand anderem, also man vollzieht einen fremden Willen. Es gibt dafür Ausnahmen, wie sie alle wissen, es gibt Lücken und die Frage, wie schließt man diese Lücken. Es gibt richterliche Rechtsfortbildung, aber die gibt es auch nur, weil der Gesetzgeber das manchmal bewusst, manchmal unbewusst ermöglicht hat. Und also so jemand, der eine Brücke bildet zwischen gesetzen Normen und dem was Rechtsfolgen sind, ist ein Jurist. Zu der was ich jetzt versuche ist gar keine Definition, sondern Ihre Frage war, zielt auf, eine Definition. Das ist eine Beschreibung, was jemand tut, der das ist. Und da ist heute kennzeichnet die Zweierlei wohl. (Internationalität und Konstitutionalisierung)

Einmal die Internationalität, also die ständige Präsenz in international entstandenen Normen von unterschiedlichen Qualitäten. Die Verträge aber auch unter vertragliche Dokumente, die wie Normen wirken und deswegen als Normen einzuordnen sind in heutige Erkenntnis. Und für Europa ist es die EMRK, mit ihrer ganz gewaltigen Bedeutung. Und also die Internationalisierung ist so ein wichtiges Phänomen, was zum Bild von Juristen unbedingt dazu gehört. Und statt Definition habe ich jetzt versucht, ein Bild zu zeichnen oder zu umreißen.

Das Zweite ist die Konstitutionalisierung. Das bedeutet, dass das Verfassungsrecht überall hineindrängt und sich bemerkbar macht in den älteren klassischen Rechtsgebieten, im Zivilrecht, im Handelsrecht, im Wirtschaftsrecht, im Prozessrecht sowieso. Überall stößt man auf verfassungsrechtliche Determinanten und Vorgaben mit der Konsequenz, dass überall dort auch Zuständigkeiten der Verfassungsgerichtbarkeit entstehen. Also die verfassungsrechtliche Aufladung des gesamten Rechts ist Konstitutionalisierung, das ist damit gemeint. Und das gefällt manchen Zivilrechtler insbesondere gar nicht und die sagen „es ist meins, lass mich in Ruhe“. Aber die Verfassung dringt überall ein und das ist ein Prozess, der auch ja ich kann gar nicht sagen, wo genau er entstanden ist. Jedenfalls in Deutschland hatte er ziemlich frühzeitig Aufmerksamkeit gefunden, aber in viel anderen Länder auch und ich denke, dass es eine Tendenz, die weiter geht. Deswegen hat das auch unmittelbare praktische Konsequenzen für die Ausbildung. Man kann nämlich nicht sagen, es wäre unverantwortlich, auszubilden nur für ein Rechtsgebiet, zu sagen, jemand ist Zivilrechtler, jemand ist Seerechtler, jemand ist in einem Gebiet Zuhause. Weil die Gebiete einmal im mehrvergleich miteinander, erkennt man Unterschiede und Gemeinsamkeiten und damit Argumentationspotenzial. Und zum anderen sind sie alle zusammen geführt durch diese internationalen und konstitutionellen Vorgaben, die bestimmte Strukturen und Werte zwingend vorgehen.

Und man hat in Deutschland eine Vokabel verwendet jahrzehntelang: der Einheitsjurist. Das kann man gar nicht übersetzen. Damit ist gemeint, es gibt nicht den Verwaltungsprozessrechtler, sondern es gibt den Juristen, der sich besonders auskennen im Verwaltungsprozessrecht. Hier aber auch anderen Dinge draufhaben muss. Und das war immer die Legitimation so zu sagen, wir verlangen dieses schwierige Erste und Zweite Staatsexamen und nehmen ihn kauft, dass man mit Glück mit 26 aber normal mit 28, 30 daraus kommt.

Das ist der Preis, der man zahlt dafür, dass man diese besondere Qualität hat, im Ideal. Und die Notwendigkeit für Einheitsjuristen wird durch dieses, was ich eben geschrieben habe, international und konstitutionell in einer neuen Form gebracht. Und es aktuelle denn je und deswegen sollte man skeptisch sein gegen Überbildungsangeboten, die es auch gibt. Die sagen „bei uns brauchen Sie nicht ganzen theoretischen Kram, Vorgeschichte, Rechtsvergleichung oder so, alles nur für die Bücher und damit die Profs was zu erzählen hat.“ Das ist wirklich nicht so, wirklich und wahrhaftig nicht so. Denn man braucht einen großen Überblick, um souverän und verantwortungsvoll das Recht handhaben zu können und das hat wieder mit dem Bild des Juristen zu tun. Denn der Jurist spielt ein ganz wichtig Rolle dabei, dieses Recht durch überzeugende Anwendung auch zu erhalten, wenn es nämlich nur so eine Größe ist, die man manipulieren kann und mal argumentiere ich so und mal anders, dann leidet das Vertrauen in das Recht auch. Und insofern sagt das Grundgesetz, die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut. Anvertraut ist ein sehr auf Verantwortung deutender Begriff und ungewöhnlich für eine Zuständigkeitsregel. Anvertraut ist etwas Besonderes und das ist irgendwie, ich weiß gar nicht ob die Formulierung da bewusst so aufgenommen wurde, ich denke schon, jedenfalls instinktsicher. Und man kann so weit gehen etwas pathetisch und sagen, ein Juristen ist die Zukunft der Rechtskultur anvertraut, nicht jeder Norm aber diese Grundzüge, über die man auch mit Nicht-Juristen Übereinstimmung erzielen kann; dass man sich an sein Wort hält, dass man nicht betrügt, dass man sich so verhält, dass sich die Anderen darauf verlassen können, also da ist ja einiges, was sich in Rechtsnormen ausdrückt, und bei der Tätigkeit des Juristen geht es auch um die Bewahrung diese Dinge.

Pro Bono: Haben Sie den Momenten an der TDU, die Sie bedeutsam finden und nicht vergessen?

Prof. Kunig: Ja, da gibt es Einige, die aber auch irgendwie private Elemente haben. Deswegen bewahre ich sie bei mir und Manche der Beteiligten sind noch da. Andere sind in den verschiedensten Berufen und mit Manchen setze ich der Kontakt fort.

Das ist ja was Besonderes, wenn man mit so einem kleinen Laden, sag ich, anfängt. Also man sieht die Entwicklungsstufen. Das hat mich damals auch gereizt, ein Blatt Papier und was machen wir jetzt. Da gab es eine Kommission — der übrigens ein junger Mann namens Halil Akkanat auch schon angehört hat und der dann Dekan der Juristen wurde und dann Sie wissen Rektor wurde, so längere Zeit — und das war faszinierende Situation und angesichts der wenigen, relativ wenigen Beteiligten unter Aufhebung der Anonymität, die sonst für große Universitäten natürlich kennzeichnend ist, entstanden teilweise Verbundenheiten, die bis heute fortdauern. Ich mache noch eine Bemerkung zu den Berufen, die sind ja, und das ist auch ein schönes Ergebnis für unsere Universität, breit gestreut. Also es gibt Anwälte, es gibt Anwältin oder den Absolventen. Es gibt Richter, es gibt ein paar Staatsanwälte, es gibt ein paar Leute, die sind nach Deutschland gegangen. Die machen Master und kommen wieder zurück oder bleiben da und machen auch noch Promotion, je nachdem oder sogar auch manchmal in anderen Ländern, nicht nur deutschsprachig. Es gibt auch Leute, die in Deutschland arbeiten. Mir fehlt eine Absolventin, ist bei der Deutsche-Bank. Also die Möglichkeiten sind vielfältig und wie man das so etwas kapitalistisch sagt, der Markt öffnet sich für unsere Absolventen und dass gehört ja auch dazu.

Ich habe vor ein paar Tagen zufällig gefunden ein Bericht des Tagesspiegels, eine Berliner Tageszeitung, von 2013 mit der Überschrift “Eine besonders enge Beziehung” und damit war gemeint, es war ein Interview über die Gründung dieser Universität, und es war gemeint die besondere Beziehung ja trotz aller Schwierigkeiten in verschiedensten Bereichen, wie einzigartige Beziehung zwischen den beiden Ländern, die natürlich auch wenn Juristen mit Konflikten zu tun haben, wie wir gesagt haben. Konflikte mit sich bringt und das heißt Betätigungsmöglichkeiten für Rechtsanwälte. Aber auch für andere Leute und andere berufliche Rollen. Und das war ein Interview hier, was ich damals gegeben habe und da musste man das noch begründen und rechtfertigen, dass man so eine Gründung macht. Und heute stellen sich eben Frau Merkel neulich bei der Feier, was heißt neulich 2 Jahre wieder her, oder der Staatspräsident als er den neuen Bundeskanzler empfangen hat dahin und reden von dieser Universität. Und das ist auch wiederum mit Verantwortung verbunden. Denn eine Universität ist eben ein freier Akteur, der nur wissenschaftlichen Regeln verpflichtet, seine Erkenntnisse zu produzieren. Und die besondere Nähe der Beziehungen macht das umso notwendiger.

Pro Bono: Also, es gibt ein Zitat von Oscar Wild mit Bezug auf die deutsche Sprache. Er hat gesagt, das Leben ist sehr kurz um Deutsch zu lernen und auch seit Jahren beobachten Sie unsere Deutschkenntnisse, also die Studierenden und höchstwahrscheinlich schreiben wir auf der Prüfung sehr komische Antworten, manchmal, auf Deutsch. Deswegen was würden Sie Ihren Studierenden empfehlen, Deutschkenntnisse zu verbessern?

Prof. Kunig: Das ist die sehr wichtige Frage. Ja, genau ich höre die Kritik heraus. Die Sprache hat natürlich die besondere Funktion für das, was wir tun als Juristen. Sie ist aber kein Selbstzweck und damit meine ich, es geht nicht darum, die Sprache zu perfektionieren. Das kann man sowieso nicht. Es gibt eine Bandbreite von Sprachniveaus, die gleichermaßen zu einem erfolgreichen Studium führen können und führen. Und meine Formulierung in dem Zusammenhang ist immer die Sprache als ein Transportmittel für den Gedanken und wenn der Gedanke ankommt am Ende dieses Transportweges in der Kommunikation dann ist ja alles gut und dann merke ich auch nicht, ob da ein Fehler ist und „der, die, das“ und „Konjunktiv“ usw. Und jeder halt Fehler macht.

Also ich relativiere das Problem und ich weiß auch, dass ich traf neulich ein Anwalt, der in Berlin studiert hat und bei mir Vorlesungen gehört hat, vor 25 Jahren. Ich erkannte ihn nicht, der ist jetzt Anwalt hier und viel zwischen bei Ländern unterwegs gewesen und er erzählte, dass er jeden Schriftsatz, den er auf Türkisch macht, da er in Deutschland aufgewachsen ist, ist Türkisch seine zweite Sprache aber er ist Türken. Dass er jeden Schriftsatz einem anderen vorliegt zur Korrektur, weil er sich nicht sicher ist und das ist normal, das muss man hinnehmen, trotzdem ist die Frage berechtigt, was kann man machen um es zu optimieren. Es bleibt ja eine Optimierungsaufgabe. Ich meine ständige Übung und Lesen. Und in dem Sprachenzentrum gibt es auch Defizite, die nicht am Sprachenzentrum liegen, sondern am fehlenden Geld. Da müsste auch Fachsprachenunterricht sein. Also während des Fachstudiums müsste weiter Sprach konzentrierter Unterricht sein. Aber das ist im Augenblick irreal, weil wir sind zwar ganz gut bedient worden finanziell vom Staat, mit Staat meinte ich beide Staaten, aber da ist nicht das Geld da, was noch mehr Sprachunterricht sichern könnte. Das bleibt Dauerthema.

Pro Bono: Wir kommen langsam zum Schluss. Noch zwei übrige Fragen haben wir. Haben Sie eine Empfehlung über ein bestimmtes Buch, das unbedingt in der Bibliothek von einem Juristen vorhanden sein soll?

Prof. Kunig: Ja, nämlich mal zwei. Eins ist Kafka, “das Schloss” wo jemand Gerechtigkeit sucht und die Gerechtigkeit das Gericht, das ihm geben kann, ist im Schloss. Das Schloss hat aber hohe Mauern und keine Türen und wenn er eine Tür findet, ist sie verschlossen, also so. Und das ist versinnbildlich sehr viel über Gerechtigkeit und die Suche danach. Und das Andere ist eine kleine Novelle von einem großartigen Schriftsteller, der auch ein großartiger Richter war, namens E.T.A abgekürzt, sogenannte E.T.A. Hoffmann. Dieser Mann lebte zur Goethe Zeit und hieß Ernst Theodor. Und er hat selbst noch ein „A“ zugefügt aus Verehrung zu Mozart Amadeus. Ernst Theodor Amadeus Hoffman war ein Hoher Richter am Kammergericht in Berlin und führt eine Doppeltexistenz, er war tagsüber Richter und abends Romantiker, Schriftsteller. Das hatte er auch nicht lange durchgehalten, 42 geworden. Aber jetzt ist die Begründung weshalb ich das empfehle seine Schriften, wegen eines Gleichnisses. Er hat eine Satire geschrieben über das Preußen der damaligen Zeit. Preußen war ein Bundesland des Deutschen Reiches. Und in der Satire, die heißt “Meister Floh”, kommt ein Justizminister vor, der mit der Polizei diskutiert. Es geht um politische Verfolgung und er sagt, wenn man den Täter erst einmal gefunden hat, dann wird sich auch schon noch eine Tat finden lassen. Also das ist die Umkehrung von dem, dass wir immer von Herrn Rosenau hören und was wir im Strafprozessrecht von Herrn Kretschmer wahrscheinlich hören und was wir im Grundgesetz finden in dem Art. 103. Die Reihenfolge ist umgedreht. Das ist ein Justizminister, der sagte, jetzt setzte ich das Recht ein, in dem ich jemandem etwas anhänge. Und das ist in vielen Staaten und in der Historie so oft geschehen, das sich zu Abwehr dieser rechtsstaatlichen Grundsatz herausbilden und das wird sehr hübsch bei der ETA Hoffmann beschrieben.

Pro Bono: Dann kommen wir zur letzten Frage. Was empfehlen Sie für jungen Juristen bzw. uns, was sollen wir vor Augen haben, auch nach der Fakultät und was sollten wir unbedingt folgen?

Prof. Kunig: Das ist eine ganz schwierige Frage. Zum Schluss, ich würde nochmal wieder den Begriff der Verantwortung in Spiel bringen. Jeder Jurist und jeder Jurastudent hat Verantwortung und zwar mehrere Richtungen. Einmal haben Sie das gegen den, die es ermöglicht haben, dass Sie studieren. Also den Eltern und Familien und dem Umfeld. Sie haben Verantwortlichkeit und Verantwortung für das, was sie tun.

Wir haben schon darüber gesprochen und das ist schon bei uns, Juristen dann anders als in anderen Fächern, also die Mathematik geht nicht unter, wenn die Mathematiker schlecht sind, würde ich behaupten, und das würden alle Naturwissenschaften insbesondere ähnlich sein. Aber Recht und Jurisprudenz und auf die Handhabung des Rechts bezogene Rationalität, die überleben in den Köpfen und müssen deswegen weitergegeben werden. Und Sie werden das Wissen akkumulieren, das Sie brauchen, um gerechtigkeitsbezogene berufliche Tätigkeiten auszuüben, aber dann auch irgendwann kommt der Zeitpunkt, dann werden Sie es weitergeben an Andere, als Juristen in allen Berufen. Der Lehrer ist nur einer, der das irgendwie ordnet und sich darauf konzentriert. Aber alle Juristen sind an diesem Prozess der Erhaltung des Rechts beteiligt. Im Übrigen rate ich und habe das vom ersten Semester an eigentlich immer getan, dazu kritisches Bewusstsein zu entwickeln. Erstmal nichts zu glauben, nicht aus Misstrauen, sondern weil es besser ist seine Erkenntnisse selbst erlangt zu haben und das heißt, Sie sollten mit konstruktiver Kritik all dem begegnen, was man Ihnen erzählt und sich selbst und eigenständige Gedanken machen.

Sie sollten — ich sage immer Sie, ich meine Jurastudenten insgesamt — auch den Verlockungen und Versuchungen widerstehen, die das Digitale bietet. Es ist traurig -es kam eine zeitlang häufig vor und es kommt immer noch vor–, wenn man Klausuren sieht und sonstige Prüfungsarbeiten, die indirekt mehr oder weniger geschickt aus dem Rechner kommen. Definition, früher waren die auf Zetteln versteckt in Hosentaschen, heute gibt es andere Methoden. Das ist alles immer vorgekommen, ist ja nicht Neues und ich halte nichts davon zu sagen, das ist Sache einer neuen Generation — Unsinn. Aber man muss das überwinden und zurückweisen.

Nur wenn man es schafft, Inhalte in eigene Worte zu kleiden und zu präsentieren, dann hat man sie auch wirklich verstanden. Ich glaube, das ist das was mir wesentlich erscheint. Vielleicht über das hinaus, was vorhin auch schon anklang. Eins möchte ich noch anfügen. Das ist, sehen Sie diese Internationalisierung der Rechtsordnung als Chance an und auch wenn es nicht immer leicht ist, sowas zu organisieren, mal ins Ausland zu gehen. Es bereichert und es hat die Rechtswissenschaft spät erreicht, also zu meiner Zeit saß in der Vorlesung niemand, der nicht aus Deutschland stammte. Heute hat sich das völlig verändert. Ich habe Doktoranden begleitet, wie aus Argentinien, Vietnam, Japan, den vorhin genannten Ländern usw., sehr viele Griechen, sehr viele Türken gehabt. Die Beschäftigung mit anderem Recht — um diesen Ausdruck „fremden“, der so abweisend klingt, auch hier zu vermeiden — fördert die Erkenntnis sehr. Und „die Rechtsvergleichung“ klingt so technisch — „rechtsvergleichend“. Aber die Untersuchung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden und das Sich-Gedanken-machen „Warum ist das so?“, das ist sehr wertvoll und abgesehen davon, dass die vorhin genannten sogenannten Märkte auch Wert darauf legen, dass jemand ein bisschen internationale Erfahrung hat. Ich sage das auch so deutlich, weil ich selbst — ich habe ja vorhin meinen Weg beschrieben — hatte keine Gelegenheit dazu. Mal kam was anderes, familiär, das Angebot Assistent zu werden, irgendwas, und plötzlich war ich fertig und nie im Ausland gewesen, von Urlaubsreisen in die Türkei abgesehen. Ja, und da muss man darauf achten, dass man sowas einplant.

Pro Bono: Das war es. Wir haben keine weiteren Fragen. Noch einmal vielen vielen Dank für Ihre wertvollen Antworten und auch Ihr Bemühen und Ihre Zeit, die Sie für uns hatten.

Prof. Kunig: Das ist sehr nett von Ihnen, vielen Dank. Ich habe das sehr gerne gemacht.

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